Auf Bootstour mit einem ehemaligen Tamil Tiger

Reportage-Reihe: Sri Lanka nach dem Bürgerkrieg-10 Jahre Frieden?
von Johanna Meier 

Jaffna ist anders als andere Städte. Es scheint, als habe sich ihre große Geschichte wie eine unsichtbare, schwere Decke auf den Ort und ihre Menschen gelegt. Die Stadt berührt. Galt sie doch schon immer als Sehnsuchtsort, als heimliche Hauptstadt der Tamilen. Schon im 13. Jahrhundert war sie Hauptsitz der tamilischen Könige. Die Portugiesen zerstörten alle hinduistischen Bauwerke Anfang des 17. Jahrhunderts. Unter den Briten wurden die Tamilen als Behördenangestellte bevorzugt, weil sie fließend Englisch sprachen und als fleißig galten. Der Unmut unter der mehrheitlich buddhistisch-singhalesischen Bevölkerung wurde immer größer. Nach dem landesweiten Massaker an den Tamilen im Jahr 1983 flohen viele nach Jaffna, die tamilische Bevölkerung wuchs. Der Bürgerkrieg zerstörte alle Hoffnungen der Tamilen hier im Norden ein unabhängiges Land aufzubauen, mit einer modernen Infrastruktur nach Vorbildern wie Singapur oder Tel Aviv.

Obwohl Touristen schon seit langer Zeit ohne Probleme in den Norden reisen können, sehe ich bei meinem Besuch im Januar 2019 kaum weiße Menschen. Im Vergleich zu anderen Städten im Zentrum und im Süden sind die Menschen hier nicht auf Touristen vorbereitet. Restaurants und Cafés gibt es nur wenige, aber dafür sind sie sehr authentisch. Alles wirkt purer und ehrlicher als im völlig überlaufenen Süden. Trotzdem: Militärische Offensiven und wirtschaftliche Embargos schwächten die Region jahrzehntelang und hinterließen Narben, die man der Stadt oberflächlich kaum mehr ansieht, die in ihrer Seele aber immer noch zu finden sind.

Mahnmale des Fanatismus sind wie mit dem Salzstreuer über die ganze Stadt verteilt. Zum Beispiel ist da das Holländische Fort, das am Rande der Jaffna-Lagune liegt und Anfang der 1990er Jahre bis auf die Grundmauern zerbombt wurde. Ein paar Kilometer weiter liegt ein schneeweißer Kolonialbau mit Kuppeltürmchen ziemlich verlassen an einer Seitenstraße. Die Jaffna-Bibliothek, Symbol tamilischen Geistes und eine stille Zeitzeugin, deren bewegte Geschichte das radikale Vorgehen der Singhalesen verdeutlicht. In einer Nacht Ende Mai 1981 brannten singhalesische Polizisten das Gebäude nieder. Über 97.000 Bücher und bis zu 1.500 Jahre alte tamilische Palmblattmanuskripte fielen den Flammen zum Opfer und gingen für immer verloren. Bis heute ist der Kummer über den Verlust groß.

Die Stadt wirkt im Januar 2019 trotz der traurigen Mahnmale belebt, augenscheinlich sogar versöhnt. Die Menschen scheinen zufrieden und doch fühlt es sich wie die Ruhe vor einem großen Sturm an. „Keiner kümmert sich wirklich um uns“, klagen die Einwohner. Von 1990 bis 1995 wurde Jaffna mitsamt der politischen Verwaltung von der LTTE kontrolliert und war de facto Tamilen-Staat. Der Guerillaführer Prabhakaran leitete hier sogar lange Zeit das Hauptquartier der Tamil Tigers.

„Drogen gab es hier keine, darauf wurde von der LTTE viel Wert gelegt“, erzählt uns ein kleiner, rundlicher Fischer, der mit seinem Boot auch Touren um die Halbinsel anbietet. Ganz im Gegensatz zu heute. „Jetzt nehmen schon Kinder und Jugendliche Drogen, trinken und rauchen“, sagt Kittu, der seinen echten Namen nicht veröffentlicht haben möchte. Er humpelt. Auf seinem Bein entdecke ich eine riesige Narbe. „Das habe ich mir im Krieg eingefangen“, sagt er und zeigt auf die Hautwulst an seinem Unterschenkel. Er startet den Motor seines orangefarbenen Boots, an dessen Bug ein weißes Kreuz prangt. Wir fahren die Küste entlang. „Ich war damals wie fast jeder hier auch für die LTTE im Einsatz, mit einem Boot. Auch meine Geschwister haben für die LTTE gearbeitet.“ Wie genau er der Widerstandsorganisation geholfen hat, will er nicht erzählen. Auch über sein kaputtes Bein will er nicht weiter sprechen.

Der Fahrtwind bläst uns ins Gesicht. Wir fahren vorbei an knallbunten Fischerbooten. Ein Mann watet durchs brusthohe Wasser und zieht sein Boot an einem Seil hinter sich her. Heute rede man nicht mehr viel über den Krieg, sagt Kittu. Das sei alles vorbei. Und die Angst davor, was sich die Singhalesen als nächstes einfallen lassen, sei zu groß. War früher also alles besser? „Eins ist sicher: Wäre die LTTE noch da, gäbe es viele Problem nicht.“ Die Rebellen hätten dafür gesorgt, dass jeder genug zum Leben habe. Die Reichen mussten für die Ärmeren sorgen, erzählt der Fischer. Weil jeder in den Krieg mitreingezogen wurde, hätte automatisch jeder eine Aufgabe gehabt und wäre damit versorgt gewesen.

Die LTTE hatte auf Jaffna ein Regime errichtet, das nach ihren Regeln lief. Die Rebellen forderten die bedingungslose Unterstützung aller Tamilen und ihr Geld. Mit diesen ‚Steuereinnahmen‘ versorgten sie ihre Kämpfer mit Waffen und hielten ihr System am Laufen. Scheinbar nach außen hin von der Welt abgeschottet, verfügten die Tamil Tigers jedoch über ein ausgeklügeltes Waffensystem, waren sogar im Besitz von Boden-und Luftraketen. Alle Tamilen wurden in den Widerstand involviert, auch die Kinder mussten als Soldaten mit in den Krieg ziehen. Nur mit einem erpressten Ausreisegeld konnten sich die Tamilen von der LTTE freikaufen und in den Süden oder ins Ausland flüchten. Dort ging die Unterstützung dann durch Spendengelder der Flüchtlinge weiter, die durch tamilische Auslandsorganisationen eingetrieben wurden.

Kittu erzählt, dass auch seine Familie von ihm verlangt habe, sich aus den Fängen der LTTE zu lösen. Er entschied sich aber für die Widerstandskämpfer und damit gegen seine Familie, die ohne ihn in den Süden des Landes floh. Warum er das tat, ob ihm die Rebellen gar keine andere Wahl ließen oder er es nicht anders wollte, darüber schweigt er. „Meine Familie habe ich schon Jahre lang nicht mehr gesehen.“ Heute hat er so gut wie keinen Kontakt mehr zu ihnen. Nach wie vor wollen sie nichts mit dem ehemaligen LTTE-Unterstützer zu tun haben.

Seine Augen sind von einem glasigen Schleier durchzogen. Es sieht fast so aus, als ob er permanent den Tränen nahe wäre, sie aber in letzter Sekunde doch noch zurückhalten kann. „Noch etwas hat sich geändert, im Vergleich zu früher“, erzählt Kittu weiter. „Das Sicherheitsgefühl. Frauen konnten früher ohne Probleme nachts um zwölf auf die Straße gehen. Früher wurde dafür gesorgt, dass nichts passiert.“ An jedem Abend während meines Besuchs im Januar gleicht Jaffna ab 22 Uhr einer Geisterstadt. Die Menschen überlassen dann die staubigen Straßen den wilden Hunden, die sie mit ihrem Gebell erfüllen und in Rudeln durch die Gegend streunen. Es ist von einer Gruppe Jugendlicher im Alter zwischen 16 und 21 Jahren die Rede, die seit einiger Zeit nachts mit Messern um die Häuser ziehen. Sie machen ihrem Unmut über die fehlenden Perspektiven Luft und sorgen für Angst und Schrecken. Auch deshalb meide man nachts die Straßen, erklären mir die Einwohner.

Wir halten an einer einsamen Insel. Kittu steigt aus, er wolle mir etwas zeigen, sagt er und humpelt barfuß voraus durch die kniehohen Sumpfgräser. Mitten im Nichts haben christliche Gläubige einen steinernen Altar aufgebaut. Der Katholizismus wird in den tamilischen Gebieten auffällig dominant zur Schau gestellt. Ein Resultat der Missionierung durch die Portugiesen, die hier mit harter Hand das Christentum verbreiteten. Eine Marienfigur, der die rechte Hand fehlt, schaut in den Himmel. „Schön, oder?“, fragt Kittu. Auch er ist gläubiger Christ. Dann führt er mich ans andere Ende der Insel. Die Jaffna Skyline türmt sich vor uns auf. Doch er hat nur Augen für das große Kreuz, das aus Bergen von Plastikmüll hervorschaut. „Wie wunderschön es doch ist, unser Zuhause“, sagt Kittu und lächelt.

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