Plädoyer für die Freilassung der Studierendenvertreter der Universität Jaffna in Sri Lanka

Bildung ist das einzige Mittel mit dem die Minderheiten ihrer Unterdrückung entkommen können. Ich heiße Umes, bin 41 Jahre alt und arbeite als Herzchirurg in meiner neuen Heimat Deutschland. Geboren bin ich in Jaffna, im Norden Sri Lankas, kurz vor Beginn des Bürgerkriegs, welcher im Jahr 2009 von der Regierung brutal beendet wurde. Tausende unschuldige Menschen im Norden Sri Lankas mussten sterben. Ich wuchs in Jaffna mit meinen Geschwistern, meinen Eltern und Großeltern auf. Meine ältere Schwester verstarb, weil es im Krieg keine ausreichende medizinische Versorgung gab. Als ich 12 Jahre alt war, hat meine Mutter mich mit einem Schlepper nach Deutschland zu meinem Onkel geschickt, damit ich den Bürgerkrieg überlebe. Die Flucht dauerte 8 Monate. Ich floh über mehrere Länder und kam mit 13 Jahren in Deutschland an. Ich bin dankbar, dass Europa und Deutschland mich aufgenommen haben und all die wunderbaren Menschen in Deutschland mich tatkräftig unterstützt haben, sodass ich hier mein neues Zuhause fand. Ich hatte das Glück, dem Krieg entkommen zu können und das Glück, meinen Traum als Mediziner zu arbeiten, verwirklichen zu dürfen. Glück, welches viele Menschen auf Sri Lanka nicht hatten – im Gegenteil, dort ging es jeden Tag nur ums Überleben.

Anfang des Jahres war ich mit meinen Freunden aus Deutschland zum ersten Mal auch im Süden Sri Lankas, wie ein ausländischer Tourist, um die Menschen, die Kultur und das Land kennenzulernen. Etwas, was während des Kriegs unmöglich gewesen wäre. Begeistert von den Menschen und der Schönheit Sri Lankas, kam ich zurück nach Deutschland und machte viel Werbung für mein Heimatland. Ich erzählte allen, dass sie hier ihren Urlaub machen sollten.

Es ist jetzt 10 Jahre her, dass der Krieg in einer brutalen Art und Weise von dem ehemaligen Präsidenten Mahinda Rajapaksa beendet wurde. Alle Menschen, unabhängig davon, ob sie Singhalesen oder Tamilen sind, waren erleichtert, dass dieser Krieg beendet wurde. Das Ende des Kriegs bedeutete jedoch noch lange kein Frieden für die tamilische Minderheit im Norden des Landes. Die angekündigte Aufarbeitung des Bürgerkriegs hat immer noch nicht stattgefunden. Mütter, die ihre Ehemänner und Kinder im Krieg verloren haben und bis heute nicht wissen, was mit ihnen geschehen ist, gehen immer wieder auf die Straße, um zu demonstrieren und Antworten von der Regierung zu bekommen. Menschen, die ihre Grundstücke und Häuser nicht betreten dürfen, weil das singhalesische Militär diese für sich beanspruchen, kämpfen vergeblich für Gerechtigkeit.

Ein Albtraum, als ich am Ostersonntag, 21. April 2019 von den Anschlägen in Sri Lanka hörte und die Bilder sah. Meine noch lange nicht verarbeiteten Bilder aus dem Bürgerkrieg waren auf einmal so präsent, wie nie zuvor. Ich hatte Angst und das Gefühl wieder mitten im Krieg zu sein. Die Tatsache, dass ich in meinem neuen zu Hause in Deutschland bin, brachte mich immer wieder aus dem Albtraum zurück, doch was ist mit den Menschen auf Sri Lanka? Dieses Land war langsam auf dem Weg sich zu erholen. Die Infrastruktur wurde Stück für Stück besser, weltweit wurde Sri Lanka als Traumreiseziel für Touristen tituliert. Plötzlich brach alles zusammen. Szenen wie damals im Bürgerkrieg, im Norden des Landes.

Als bekannt wurde, dass es sich um islamistische Terroranschläge handelt, waren plötzlich die unschuldigen Muslime auf Sri lanka die Feinde des Landes.

Opfer sind nicht nur die unschuldig getöteten Menschen in den Kirchen und in den Hotels, langfristig auch alle auf Sri Lanka lebenden Menschen. Dabei stehen vor allem die Minderheiten im Fokus. Viele scheinen vergessen zu haben, wie viele Kirchen, Tempel oder Schulen während des Bürgerkriegs von der singhalesischen Regierung bombardiert wurden. Auch damals mussten Hunderte unschuldige Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder, ihr Leben lassen.

Niemand weiß bis heute tatsächlich, wer hinter den Anschlägen vom Ostersonntag steckt. Der sogenannte Islamische Staat behauptet, wie so oft, dass er hinter den Attentaten stecke.

Doch es gibt noch weitere Thesen, die nicht außer Acht gelassen werden sollten. Vor allem wenn man betrachtet, wer von solch einem Terrorakt profitieren könnte. China erlangt immer größeren Einfluss in Sri Lanka. Viele Straßen und der Hafen „Hambantota“ in Colombo, wurde an die Chinesen verpachtet. Politisch gesehen ein nicht ganz unwichtiger, strategischer Schritt, wenn es um die Vormachtstellung im Indischen Ozean geht. Doch nicht nur die Chinesen sind an mehr Dominanz in diesem Gebiet interessiert, auch die Amerikaner liebäugeln mit diesem Teil des Indischen Ozeans, um so Indien besser unter Kontrolle haben zu können. Dass der sogenannte Islamische Staat die Attentate für sich reklamiert, ist insofern für die Amerikaner günstig, als dass sie dadurch ungehindert aus Sicherheitsgründen die Kontrolle über das Land an sich reißen können. Wer jedoch genau hinter dem Islamischen Staat steht, der bis heute die meisten muslimischen Opfer hervorgebracht hat, weiß niemand so genau. Ist Sri Lanka ein Opfer des Machtkampfs zwischen den Chinesen und den Amerikanern? Das wird wohl weiterhin ein Rätsel bleiben.

Unabhängig davon kommt die jetzige Situation für viele Politiker oder Parteien gelegen, um ein gemeinsames Feindbild zu schaffen. Damals waren es die Tamilen aus dem Norden des Landes, jetzt sind es die Muslime. In dieser aufgeheizten Stimmung lassen sich prima Wählerstimmen gewinnen. „Wir brauchen auf Sri Lanka einen Macher, einen Präsidenten, der mit aller Gewalt, auch auf Kosten der unschuldigen Minderheiten das Land stabilisiert“, so die verbreitete Meinung unter einigen nationalistisch gesinnten Singhalesen. Der Krieg ist beendet, das ist, was zählt, nicht die Art und Weise wie gegen die Tamilen vorgegangen wurde. Dabei denke ich an den Mai 2009, in Mullaivaigal im Nordosten des Landes, wo Zivilisten vom singhalesischen Militär bombardiert wurden.

Jetzt ruft die sri-lankische Regierung den Notstand aus und somit tritt das Antiterrorgesetzt auf Sri Lanka in Kraft, welches sicher seine Vorteile hat, um schnell und zügig nach so einem Terrorakt zu handeln. Wir in Europa wissen jedoch ganz genau, was Machthaber mit so einem Gesetzt alles anrichten können, besser gesagt, wie sie es missbrauchen können. Wenn man Minderheiten gegeneinander aufhetzt, kann der Mann auf der Bühne nur gewinnen. Kommen eventuell politische Gegner vor den anstehenden Wahlen auf Sri Lanka in den Weg, wäre doch dies eine gute Gelegenheit sie von der politischen Bühne zu drängen.

Ein Vater, dessen Kinder sich streiten, muss dafür sorgen, dass sie sich wieder vertragen. Aus Sicherheitsgründen die sozialen Medien abzuschalten und Informationen durch gefilterte Nachrichtendienste an das Volk zu streuen, fördert nicht den Dialog zwischen den Streitparteien. Es ist immer wieder und überall dasselbe: In Syrien, in der Türkei oder eben in Sri Lanka. Das Opfer ist das Volk und die Gewinner sind die Politiker, die sich ihre Macht sichern wollen. Der Ostersonntag ist ein trauriger aber für die sri-lankische Regierung gleichzeitig ein guter Anlass, um gegen die Minderheiten auf Sri Lanka vorzugehen. Zwei Studierendensprecher von der Universität Jaffna, im Norden des Landes, wurden am 3. April 2019 im Rahmen des „Antiterrorgesetztes“ verhaftet und inhaftiert. Die Begründung: Sie werden verdächtigt Mitglieder der Tamil Tigers zu sein, weil sie als Studierende der Geisteswissenschaften und der Kunst den interkulturellen Dialog durch Theateraufführungen fördern wollten.

Die Menschen, die den Krieg mit eigenen Augen erlebt haben und noch auf Sri Lanka leben oder nach Europa und Amerika geflohen sind, haben ihren Schmerz längst nicht verarbeitet. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, beschneidet die sri-lankische Regierung die Minderheiten jetzt noch dort, wo es ihnen am meisten weh tut: Im Bereich der Bildung, das letzte Bisschen Freiheit, das ihnen noch blieb. Begonnen hat der Bürgerkrieg im Jahr 1983 tatsächlich durch die Unterdrückung der Studenten, gefolgt von der Verbrennung der Bibliothek der Tamilen in Jaffna. Ich habe Angst um die Menschen auf Sri Lanka.  Dabei geht es mir nicht nur um die Tamilen, nein, um alle Menschen, egal an welchen Gott sie glauben, oder welche Sprache sie sprechen. Deshalb fordere ich ausdrücklich alle Regierungen dazu auf, Entwicklungshilfe an die sri-lankische Regierung nur dann weiterhin zu gewährleisten, wenn die Regierung sichtbar eine demokratische Politik betreibt und ihre Kriegsverbrechen aufarbeitet. Ich möchte die sri-lankische Regierung auffordern, ihrem Volk zu dienen und eine Regierung für alle Menschen auf Sri Lanka zu sein.

Bitte lasst die tamilischen Studierenden im Norden Sri Lankas in Ruhe und gebt ihnen ihre Freiheit zurück.

Umeswaran Arunagirinathan

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