Reportage-Reihe: Sri Lanka nach dem Bürgerkrieg- 10 Jahre Frieden?

Das ist die Wahrheit

von Johanna Meier

Zehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs patrouillieren die Soldaten in Mullaitivu noch immer durch die Straßen. Die Gegend ist verlassen, von der Welt im Stich gelassen. Schüler in strahlend weißen Uniformen winken uns lächelnd zu. Sie wirken wie Fremdkörper an diesem traurigen Ort. „Die Regierung ist dumm, sie gehen respektlos mit den Menschen hier um“, sagt ein tamilischer Anwohner aufgebracht, als wir ihn im Januar 2019 in den Security Force Headquarters von Mullaitivu treffen. Vivakanthan lebt mit seiner Frau Hina* und anderen Vertriebenen in einem abgesperrten, vom Militär okkupierten Bereich, Tür an Tür mit den Regierungssoldaten.

Vor den Anschlägen am Ostersonntag war Mullaitivu eines der am stärksten militarisierten Gebiete des Landes. Ein Soldat traf hier auf zwei Zivilisten. Auf einem Schild soll die Bevölkerung an die heldenhaften Taten der Armee erinnert werden. Offiziell befreite die Armee die Zivilbevölkerung aus den Fängen der Rebellen. Tatsächlich kamen hier aber alleine in den letzten Tagen des Kriegs Tausende Zivilisten ums Leben, getötet von Regierungssoldaten. Wer zu den Tamil Tigers gehörte und wer nicht, war schwer auszumachen. Teilweise missbrauchte die LTTE die Zivilisten als Schutzschilde, teilweise kleideten sich die Kämpfer wie Zivilisten. So oder so, der Regierung war es schlichtweg egal. Sie wollten den jahrzehntelangen Aufstand endlich niederschlagen. Koste es, was es wolle.

„Einige haben vor langer Zeit ihren Arsch gerettet, die sind ins Ausland gegangen“, sagt Vivakanthan. „Alle sagen uns: ‚Geht ins Ausland.‘ Aber das will ich nicht, ich will hier bleiben.“ Er schluckt und kämpft mit den Tränen. „Auf der ganzen Welt sind wir Tamilen zerstreut. Aber keiner kümmert sich wirklich um uns.“
Der Tamile sitzt auf Getreide, das er auf der Veranda zum Trocknen verteilt hat. Das Haus, das sich seine Familie mit vielen anderen Menschen teilen muss, ist nicht ihr eigenes Haus. Es wurde als eine Art Ersatz für sie angemietet, erzählen sie mir. Ihr eigenes Grundstück liegt direkt gegenüber, gerade mal zwanzig Meter Luftlinie entfernt. Seit zehn Jahren dürfen sie es nicht mehr betreten.

„Der Krieg ist vorbei, warum verdammt nochmal soll ich so leben, als ob immer noch Krieg wäre? Ich will zu Hause leben“, sagt Hina nach Luft ringend. Nach Kriegsende wird die tamilische Familie in einem Flüchtlingscamp untergebracht. Als sie nach drei Jahren auf ihr Grundstück zurückwollen, ist es von der Armee besetzt, bis heute. Wir schauen auf einen Zaun, hinter dem die Soldaten Kasernen zwischen Kokosnusspalmen gebaut haben. Die über vierzig Palmen bildeten die Lebensgrundlage des Ehepaars. Seit etlichen Jahren müssen sie ohne die Erträge klarkommen. Auch ein Brunnen steht auf ihrem Grundstück, zu dem sie seither keinen Zugang mehr haben. Das Land auf dem sie jetzt leben, ist unfruchtbar. Die beiden können die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfährt nicht begreifen. „Das was sie uns als Ersatz gegeben haben, das ist ein Ort, mit dem wir gar nicht leben können, da bekommt man Depressionen. Es kann sein, dass der ein oder andere nicht meiner Meinung ist, dass andere sagen: ‚Du hast doch ein Grundstück.‘ Aber das ist nicht mein Zuhause und ich hatte ein großes Grundstück, auf dem ich viel erwirtschaftet habe, warum soll ich mich damit jetzt zufriedengeben?“, sagt Hina.

Seit Jahren mobilisiert sie die enteigneten Tamilen, organisiert Demonstrationen vor den Militärcamps und in Jaffna, vor allem wenn politische oder diplomatische Vertreter aus dem Ausland kommen, „damit die Informationen in die Welt hinaus getragen werden.“ Das ist mutig. Auch wenn ein Gericht ihr kürzlich erst bestätigt hat, dass die Demonstrationen rechtens sind, solange sie keine Straßen sperren oder Gewalt einsetzen, ist sie doch vorsichtig. „Ich organisiere das Ganze zwar, aber ich will nicht zu sehr in den Vordergrund.“ Zu groß sei ihre Angst vor dem ‚weißen Van‘, die Art von Transporter, mit dem der ehemalige Präsident Rajapaksa angeblich seine Kritiker abholen und für immer verschwinden ließ.

Etwas konnten Hina und die anderen Einwohner mit ihren Demonstrationen schon erreichen: „69 Familien wurden 2017 die Grundstücke zurückgegeben. Aber 58 Familien warten immer noch darauf, ihr Land zurückzubekommen.“ Präsident Sirisena hatte im letzten Jahr versprochen, alle Grundstücke im Nordosten bis Ende Dezember 2018 an die Besitzer zurückzugegeben. Als wir sprechen, ist es Ende Januar 2019, bis heute ist nichts dergleichen passiert. Denn auch wenn die Waffen längst ruhen, hat die aktuelle Situation nicht viel mit Frieden zu tun. Die Armee kümmert sich nicht um die Belange der Tamilen. Sie haben zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. „Wenn wir unser Eigentum so lange wir noch leben nicht zurückbekommen, wie sollen es unsere Kinder dann schaffen, das Grundstück wieder zurückzubekommen und alles wiederaufzubauen? Wir werden ja nicht für immer leben, ich muss es irgendwie schaffen, so lange ich lebe. Man kann seine Ziele nur erreichen, solange die Kraft noch da ist.“

Mullaitivu ist auch der Ort, an dem der damalige Anführer der LTTE, Velupillai Prabhakaran, im Mai 2009 vom Militär gestellt und ermordete wurde. Die Regierung selbst veröffentlichte kurz danach ein Video seines Leichnams. Die Geschichte um seinen Tod bleibt ein Mysterium. Nach wie vor gibt es unter den Tamilen Zweifel an der Authentizität des Videos, was Spekulationen nährt. Nicht zuletzt deshalb, weil Prabhakaran als äußerst vorsichtig galt, mehrere Doppelgänger hatte, sich nur sehr selten in der Öffentlichkeit zeigte und ein Leben im Untergrund führte. Alternative Theorien zur offiziellen Version um seinen Verbleib kursieren nach wie vor.
Hat die Regierung auch deshalb solch großes Interesse, dieses Gebiet ganz besonders im Auge zu behalten?

Mit Tränen in den Augen kommt es plötzlich auch aus Vivakanthan heraus: „Die Regierung kümmert sich nicht um die Tamilen. Die Tamilen haben immer noch keine Lösung. Damals hat Prabhakaran gesagt, dass die Regierung für uns Tamilen nichts machen wird, das hat er immer schon gesagt. Alle Tamilen haben damals zu Prabhakaran gesagt, bitte fange keinen Krieg an, er solle diplomatisch handeln, aber jetzt kann ich verstehen, was Prabhakaran damals meinte.“

Seine Emotionen sind von solch überwältigender Aufrichtigkeit, dass mir ein Schauer über den Rücken fährt. Seine Stimme bebt. Ich schaue immer wieder zum Zaun hinüber, ob wir nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen. Doch Vivakanthan scheint das nicht zu interessieren, er schreit fast vor Verzweiflung. „Mir ist es egal, wenn das jetzt veröffentlicht wird mit meinem Namen. Das ist die Wahrheit“, sagt er zum Schluss. Ich sehe, wie sein Herz durch sein rosafarbenes Hemd pocht. Er atmet schnell, zu schnell. Sein Gesicht ist von tiefen Furchen durchzogen. Seinen glasigen Blick hat er fest auf den Armeezaun gerichtet. „Bis zu meinem Tod werde ich demonstrieren und für mein Grundstück kämpfen.“

*Name von der Redaktion geändert

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