»Die Regierung muss dazu Stellung nehmen«
Jahrestag des »Schwarzen Juli« in Sri Lanka: Tamilen fordern Aufarbeitung der Kriegsverbrechen. Ein Gespräch mit Agilan Waradarajah
Am heutigen Dienstag jährt sich der Beginn der Pogrome des »Schwarzen Juli« 1983 gegen die tamilische Bevölkerung auf Sri Lanka. Wie kam es dazu, und welche Ausmaße hatten sie?
Der Auslöser waren militärische Auseinandersetzungen zwischen den Regierungstruppen und der sozialistischen LTTE, den »Befreiungstigern von Tamil Eelam«. Dabei kamen 13 Soldaten ums Leben. Die damalige Regierung nahm das zum Anlass, die seit vielen Jahren systematisch unterdrückte tamilische Bevölkerung zu vertreiben. Dieses Pogrom kostete mehr als 3.000 Menschen das Leben.
Die Regierung unterstützte den singhalesisch-nationalistischen Mob durch die Weitergabe von Wählerlisten, die es ermöglichte, Geschäfte und Wohnhäuser von Tamilen zu identifizieren und anzugreifen. Die Gewalt hielt über eine Woche an, am Ende wurden mehr als 150.000 Menschen vertrieben, zudem waren 5.000 Geschäfte und 8.000 Wohnungen zerstört. Dabei wurden etliche tamilische Frauen vergewaltigt und viele Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt. Der »Schwarze Juli« führte zur ersten großen Flüchtlingswelle der tamilischen Bevölkerung aus Sri Lanka.
Sie lebten als Kind in Sri Lanka, dann flohen Ihre Eltern mit Ihnen in die BRD. Woran erinnern Sie sich?
Ich habe bis 1985 in der Hauptstadt Colombo gewohnt und besuchte dort die Grundschule. Mein Vater war Journalist bei einer tamilischen Zeitung, und meine Mutter arbeitete als Apothekenhelferin. Am ersten Tag des Pogroms wurde während des Unterrichts bekanntgegeben, dass die Schule geschlossen wird und wir unverzüglich nach Hause gehen sollten. Auf der Straße brannten Autoreifen, Menschen liefen aufgeregt hin und her. Nach einer Weile wurde ich von meiner Mutter abgeholt, und wir gingen zur Bushaltestelle, um nach Hause zu fahren. Zuvor sah ich, wie meine Mutter sich den roten Punkt von der Stirn gewischt hat, mit dem man sie als tamilische Frau hinduistischen Glaubens hätte identifizieren können. Während unserer Fahrt nach Hause wurde unser Bus von einer Bande alkoholisierter Männer angehalten, die die Passagiere befragten. Sie hielten Ausschau nach Tamilen. Meine Mutter überstand die Situation, da sie sehr gut singhalesisch sprach. Allerdings wurden ein Mann und eine Frau mit Kind aus dem Bus gezerrt. Zu Hause angekommen versteckten wir uns bei unseren singhalesischen Nachbarn. In der Nacht hörten wir, wie die Tür unseres Hauses aufgebrochen und es anschließend in Brand gesteckt wurde.
Nach einigen Tagen bekamen meine Eltern mit, dass die indische Regierung ein Schiff nach Colombo geschickt hatte, um Tausende Flüchtlinge nach Jaffna (eine Stadt im Norden Sri Lankas, in dem viele Tamilen leben; jW) zu bringen. Nach zwei Tagen kamen wir dort an und mussten von vorne anfangen. Der Schmuck meiner Mutter wurde verkauft, um Lebensmittel und eine Unterkunft zu besorgen.
Vor zehn Jahren endete der Bürgerkrieg zwischen der LTTE und der srilankischen Regierungmit einem Genozid an der Bevölkerung in den tamilischen Gebieten (siehe jW vom Wochenende). Die Folgen des Konflikts sind nach wie vor zu spüren, etwa mit Blick auf die politischen Gefangenen. Wie viele von ihnen gibt es noch?
Die genauen Zahlen werden von der Regierung nicht bekanntgegeben. Es ist daher schwierig, Aussagen zu machen. Jedoch dürfte es sich um Tausende handeln, die in regulären Haftanstalten sowie in Geheimgefängnissen sitzen. Wir fordern ihre sofortige Freilassung.
Was sind weitere zentrale Forderungen der tamilischen Organisation, der Sie angehören?
Die Familien der Verschwundenen protestieren nun seit 860 Tagen ununterbrochen. Sie wollen erfahren, was mit ihren Söhnen und Töchtern passiert ist. Der Bischof von Mannar spricht von 146.000 vermissten Personen. Die Regierung muss Stellung dazu nehmen, was mit den Menschen passiert ist. Zudem braucht es eine unabhängige internationale Untersuchung der Kriegsverbrechen. Die Straffreiheit muss ein Ende haben. In manchen tamilischen Gebieten im Norden und Osten der Insel kommt auf zwei Einwohner ein Soldat. Wir fordern den Abzug dieser Truppen. Letztlich geht es um nichts weniger als unser legitimes Selbstbestimmungsrecht.
Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/359242.verfolgung-von-tamilen-in-sri-lanka-die-regierung-muss-dazu-stellung-nehmen.html