„Ich habe davon nur geträumt“
von Michael Brandt
Herr Tharumalingam, Sie sind Deutscher mit tamilischen Wurzeln und treten jetzt in Brasilien für Katar gegen einen Mongolen an. Wie kam es zu der ungewöhnlichen Konstellation?
Thulasi Tharumalingam: Die meisten Sportler werden im Zyklus von vier Jahren darauf trainiert, sich für Olympia zu qualifizieren. Beim Boxen ist es in Deutschland leider so, dass man so gut wie keine Chance hat, sich für die Qualifikationsturniere zu empfehlen, wenn man nicht an einem Stützpunkt trainiert.
Das Emirat Katar wurde trotzdem auf Sie und Hakan Erseker aufmerksam…
Nachdem im letzten Jahr für uns die Wahrscheinlichkeit bei null lag, sich für Olympia zu qualifizieren, lag uns ein Angebot von Katar vor, für das Land an der WM teilzunehmen. Durch einen guten Freund hatten wir schon länger Kontakt mit Leuten von dort. Wir hatten zunächst abgelehnt, weil wir die deutsche Staatsbürgerschaft ablegen und die katarische annehmen sollten.
Letztendlich haben Sie sich doch entschieden, für Katar anzutreten.
Nach einiger Zeit wurde die Anfrage erneuert. Diesmal hatten wir das Angebot, dass wir die deutsche Staatsangehörigkeit behalten und eine Zweitbürgerschaft bekommen. Das haben wir mit unseren Familien besprochen und zugesagt.
Ist das ein wunder Punkt, nicht für Deutschland antreten zu können?
Es wäre natürlich schöner gewesen, Deutschland zu vertreten. Aber es ist immer noch besser, diese Chance zu bekommen, als sich diesen Traum gar nicht erfüllen zu können.
Sie sind jetzt also beide Deutsche und auch Katari, ohne vorher in dem Emirat gewesen zu sein. Mussten Sie den Thawb, das traditionelle weiße Gewand der Katari, überziehen?
Für das Passfoto und für den Einlauf ja. Es war natürlich ungewohnt und auch etwas lustig, so etwas zum ersten Mal zu tragen. Aber da muss man sich natürlich anpassen.
Wie sind Sie untergebracht?
Es gibt 30 neu gebaute Hochhäuser, in denen alle Nationen ihre eigenen Wohnungen haben. Große Nationen wie England oder Deutschland haben fast ein ganzes Gebäude für sich. Damit man weiß, welche Nation sich wo befindet, ist jede Etage mit entsprechenden Flaggen geschmückt. Bei der Eröffnungszeremonie mit den besten Sportlern der Welt einzulaufen, war ein tolles Erlebnis.
Bekommen Sie auch etwas mit von Rio?
Ich gehe zweimal täglich zum Training und schaue mir auch die anderen Box-Events an, wenn möglich. Die anderen Sportarten sehe ich auch nur im Fernsehen. Von der Stadt habe ich noch nichts gesehen.
Hakan Erseker hat seinen Kampf bereits am Sonnabend verloren und ist somit ausgeschieden…
Ja, er ist leider gegen den amtierenden APB-Weltmeister (AIBA Pro Boxing) aus Usbekistan in einem knappen Kampf ausgeschieden. Schade, aber damit kann man sicherlich leben! Hakan hat gut geboxt und sich toll präsentiert. Ich war natürlich beim Kampf vor Ort und habe ihn unterstützt.
An genau diesem Ort, dem Rio Centro Pavillion, treten Sie heute gegen den Mongolen Chinzorig Baatarsukh an. Was sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl?
Ich kenne ihn gut. Er hat 2015 in Halle den Chemiepokal gewonnen, außerdem ist er amtierender Militärweltmeister. Live habe ich ihn dieses Jahr bei den Asien-Qualifikationen in China gesehen. Er ist mental und körperlich stark, zudem ein guter Techniker. Ich fühle mich allerdings sehr gut in Form und bin optimistisch, den Kampf für mich zu entscheiden. Es wird sicher eng werden.
Bevor Sie in Rio de Janeiro ankamen, mussten Sie zur Qualifizierung nach Venezuela, dann nach Katar und schließlich nach Kuba zum Sparring. Das war sicher recht anstrengend.
Erlebnisreich, aber auch sehr anstrengend. Normalerweise ist nach so großen Turnieren eine Pause notwendig, da es beim Boxen hart zugeht und das Training an die Substanz geht. Da aber nicht mal mehr ein Monat Zeit war bis zu den Olympischen Spielen, ging es nach ein bis zwei Tagen direkt weiter im Training.
Hätten Sie sich jemals träumen lassen, von Ihren Anfängen im beschaulichen Schwanewede soweit zu kommen?
Eher nur geträumt! Die meisten Sportler machen das ja hauptberuflich und auch von denen schaffen es nur die wenigsten. Darauf, dass wir beide das trotz unserer eingeschränkten Trainingsmöglichkeiten geschafft haben, sind wir schon sehr stolz.
Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie sich für Boxen als Sportart entschieden?
Ich habe früher viele Sportarten ausprobiert. Meine Mutter hat mich überall hingeschickt. Die längste Zeit war ich beim Handball, Schwimmen und Judo, aber auch Schwimmen und Geräteturnen war dabei. Vor gut zehn Jahren hat dann die Boxabteilung beim TV Schwanewede aufgemacht. Marion Kramber, die damalige Judotrainerin des TV Schwanewede, hatte meinen Bruder Kuri gefragt, ob er nicht mal Lust hätte vorbeizuschauen, da er körperlich sehr stark war. Dann hat mein Bruder reingeschnuppert und mich mal mitgenommen. Das hat mir direkt gefallen und nach und nach habe ich Judo dann weggelassen.
Thomas Neumann, Abteilungsleiter für Boxen beim TV Schwanewede, hat Sie viele Jahre trainiert.
Ja, Thomas Neumann gebührt großer Respekt, dass er uns so viel Zeit geopfert hat. Als kleiner Verein hatten wir es schwer, mit zwei Trainingseinheiten weit zu kommen. Daher hat Thomas immer versucht, uns außerhalb von Schwanewede Trainingseinheiten zu besorgen. Fast im Wochentakt waren wir auf den unterschiedlichsten Veranstaltungen in der Region, um Erfahrungen zu sammeln.
Wie geht es nach Olympia weiter mit Ihren Boxkarrieren?
Ich absolviere im Moment das duale Studium Fitnessökonomie und wohne in Bruchsal. Ich beabsichtige aber, mein Studium in Bremen fort zu setzen und suche dort noch nach einem passenden Gym. Hakan Erseker beginnt zum 1. September eine Ausbildung als Anlagenmechaniker bei einer Firma in Lilienthal.
Das Interview führte Alexander Bösch.
Thulasi Tharumalingam und Hakan Erseker haben ihre Boxkarriere beim TV Schwanewede gestartet. Bei den Olympischen Spielen in Rio sind der 23-jährige Deutsch-Tamile und der 22-jährige Deutschtürke mit von der Partie. Statt für Deutschland treten beide allerdings für Katar an.
Mehr/Source: http://www.weser-kurier.de/region/die-norddeutsche_artikel,-„Ich-habe-davon-nur-getraeumt“-_arid,1433466.html