In Sri Lanka kehrt die Angst zurück

Einschüchterungen gegenüber Medien, der Übergriff auf eine Botschaftsmitarbeiterin der Schweiz und ein Ausreiseverbot für Untersuchungsbeamte: Der Machtwechsel in Colombo weckt Befürchtungen vor einem Rückfall in autoritäre Zeiten.

Am Dienstagmorgen erhielt Dhanushka Ramanayake einen besorgten Anruf aus dem Newsroom des Onlineportals «newshub». Ein befreundeter Reporter erzählte ihm, dass ein Dutzend Polizisten mit einem Untersuchungsbefehl einmarschiert seien. Der Chefredaktor und der Geschäftsführer waren ausser Haus. Deshalb habe man ihn um Rat gefragt, erklärt Ramanayake am Telefon. Er arbeitete als Medienchef von Präsidentschaftskandidat Sajith Premadasa mit dem Portal zusammen. Sajith unterlag am 26. November Gotabaya Rajapaksa.

Suchbefehl «Gotabaya»

Die Ermittler filzten die Computer der Redaktion mit dem Suchbegriff «Gota» – die Abkürzung des vor zwei Wochen vereidigten Präsidenten. Das Onlineportal hatte wiederholt kritisch über Gotabaya und seinen Bruder Mahinda, den früheren Präsidenten und jetzigen Regierungschef, berichtet. Aus Polizeikreisen hiess es, man habe nach Materialien gefahndet, die als Hassreden qualifiziert werden müssten. Fündig wurden die Beamten allem Anschein aber nicht. 

Nach der Razzia in Colombo hielt der Medienchef von Präsidentschaftskandidat Sajith eine Pressekonferenz ab und warnte vor einem Rückfall in düstere Zeiten. «Darauf meldeten sich mehrere Journalisten bei mir und beklagten sich über Einschüchterungen.» Ein Mitarbeiter eines anderen Portals sei acht Stunden einvernommen worden. Und eine renommierte investigative Journalistin sagt in einem Telefoninterview: «Mir wurde empfohlen, aus Sicherheitsgründen nicht nach Sri Lanka zurückkehren.» Neben zwei weiteren Medienschaffenden soll sich auch ein Parlamentarier ausser Landes begeben haben. 

Offenbar richtet sich die Repressionswelle primär gegen alternative, der Opposition nahestehende Medien. Davon erfasst werden aber auch die etablierten Sender und Zeitungen. Er übe sich in Selbstzensur und schweige auf den sozialen Netzwerken, räumt ein Journalist in Colombo ein. Menschenrechtsaktivisten berichten von Drohanrufen. 

Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Sajith Premadasa von der Regierungspartei bei der Abgabe seiner Stimme in Weerawila.

Sri-Lanker bleiben im Schengenraum 

Dass eine Rückkehr der Rajapaksas an die Macht Sri Lanka abermals in ein autokratisch regiertes Land verwandelt könnte, war schon vor der Präsidentschaftswahl befürchtet worden. Auf westlichen Botschaften erkundigten sich Gegner des mächtigen Clans nach Visa. Wie in diplomatischen Kreisen zu erfahren ist, sind einige Sri-Lanker, die mit einem Touristen- oder Geschäftsvisum in ein Schengenland ausreisten, nach der Wahl nicht mehr in in ihre Heimat zurückgeflogen und beantragen Asyl. Ein Diplomat spricht bereits von einem «Trend».

Mit Repressalien rechnete offenkundig Nishantha de Silva, der sich am Sonntag in die Schweiz abgesetzt haben soll. Seine Abteilung, das sogenannte Criminal Investigation Department (CID), untersuchte verschiedene Korruptionsfälle, aber auch schwere Menschenrechtsverletzungen. Verschiedene Zeugen belasteten neben hohen Militärs auch Gotabaya Rajapaksa, der bis 2015 als Spitzenbeamter im Verteidigungsministerium eine enorme Machtfülle innehatte. Er soll selber die Verschleppung von Aktivisten und Journalisten angeordnet haben. Gotabaya bestritt dies in einem Interview mit der NZZ im vergangenen Mai.  

In einer seiner ersten Amtshandlungen setzte der neue Präsident den Direktor des CID ab. De Silva, ein hochrangiger Mitarbeiter, verlor trotz Morddrohungen seinen Anspruch auf Leibwächter. In Fachkreisen gilt der flüchtige Spitzenbeamte als integer und kompetent. Er brachte mit seinen Ermittlungen Verfahren gegen Sicherheitskräfte ins Rollen, die für das Verschwinden von Journalisten und Bürgerrechtlern verantwortlich gemacht werden. 

Ob die kurzzeitige Entführung einer Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft von höchster Stelle in Auftrag gegeben wurde, steht nicht fest. Der Vorfall, der allem Anschein nach in Zusammenhang mit dem Verschwinden de Silvas steht, dürfte aber ein Indiz dafür sein, dass sich der Sicherheitsapparat ermutigt fühlt, Methoden anzuwenden, wie sie zwischen 2005 und 2015 gang und gäbe waren. Die Brüder Rajapaksa führten das Land während eines Jahrzehnts mit harter Hand. Am Donnerstag gab das sri-lankische Aussenministerium bekannt, die Polizei habe eine Untersuchung zur Verschleppung der Botschaftsmitarbeiterin eingeleitet.

In Reaktion auf das Abtauchen des hochrangigen Polizeiinspektors hat die neue Regierung die Reisefreiheit der rund 700 Beamten des CID eingeschränkt. Sie dürfen das Land nur mit einer Bewilligung verlassen, was wohl eher einem Ausreiseverbot gleichkommt. Regierungskreise in Colombo verbreiten zwar, Verfahren gegen die Rajapaksas würden weitergeführt. Doch ist es schwer vorstellbar, dass sie in einem Klima der Angst vorankommen. Ein Diplomat stellte vor der Präsidentschaftswahl fest, manche Richter würden brisante Fälle vor sich herschieben, weil sie mit einem Sieg der Politikerdynastie rechneten. Niemand wollte sich mit einem heiklen Urteil die Finger verbrennen.

Präsident Gotabaya Rajapaksa und sein Bruder, der neue Ministerpräsident Mahinda Rajapaksa, bei der Vereidigung vor wenigen Tagen in Colombo.

Ein Präsident für alle?

Unmittelbar nach seinem klaren Wahlsieg vor zwei Wochen überraschte Gotabaya Rajapaksa mit konzilianten Tönen gegenüber den tamilischen und muslimischen Minderheiten. Er sei Präsident aller, verkündete der einstige Spitzenmilitär. Nach den Ereignissen dieser Woche muss man sich ohne Zweifel fragen, ob das auch für jene gilt, die auf eine schonungslose Aufarbeitung der ersten Präsidentschaft des Clans pochen. «Einige werden bedroht, noch mehr fühlen sich bedroht», fasst ein Beobachter die bleierne Stimmung in Colombo zusammen. 

Quelle: https://www.nzz.ch/international/in-sri-lanka-ist-die-angst-zurueck-ld.1524897

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