Protest in Berlin: Tamil Nadu streitet über den Stierkampf

Mehrere Tamilen sind heute vor dem Berliner Brandenburger Tor zusammen gekommen um gegen das Verbot des Jallikattus zu protestieren. Unser Team von Tamil.de war Live mit dabei und hat das Ganze für euch mit aufgenommen.

Jallikattu ist ein jahrtausendealter Sport, bei dem junge Männer Stiere niederzuringen versuchen. Nun wurde diese Tradition in Indien verboten. 

Anderthalb Monate nachdem der Tod der Landesmutter Jayalalitha das öffentliche Leben in Chennai zum Stillstand gebracht hatte, haben sich in Indiens südöstlicher Metropole wieder grosse Menschenmengen versammelt. Diesmal hat aber nicht Trauer, sondern Wut die Massen mobilisiert: Am Freitag forderten Zehntausende bereits den vierten Tag in Folge die Aufhebung eines gerichtlichen Verbots einer lokalen Form des Stierkampfs. Die Demonstranten versammelten sich dazu in der Kapitale von Tamil Nadu, aber auch in zahlreichen anderen Städten des Gliedstaats und in der ebenfalls tamilisch geprägten ehemaligen französischen Kolonie Pondicherry. Nahezu die gesamte politische Elite Tamil Nadus, aber auch Berühmtheiten aus Unterhaltungsbranche und Sport haben sich mit den Protesten solidarisiert.

Was sagen die Tierschutzorganisationen?

Tierschutzorganisationen haben vor einigen Jahren beim indischen Supreme Court ein Verbot des jahrtausendealten, Jallikattu genannten Sports erwirkt. Anfänglich gab es regionale Ausnahmeregelungen, welche die traditionelle Durchführung während des tamilischen Erntedankfestes Pongal Mitte Januar weiter ermöglichten. Seit 2014 sind die Veranstaltungen vollständig verboten. Beim Jallikattu, dessen Bezeichnung sich aus den tamilischen Wörtern für «Münze» und «anbinden» zusammensetzt, versuchen junge Männer, einen Stier an seinem für die indischen Rinderrassen charakteristischen Höcker zu packen und niederzuringen und danach einen an den Hörnern befestigten Wertgegenstand an sich zu nehmen.

Laut Tierschutzorganisationen stellt der Kampf, vor dem die Stiere mitunter mit Schlägen und Tritten aufgeheizt werden, Tierquälerei dar. Zudem seien allein zwischen 2010 und 2014 17 Personen bei Jallikattu-Kämpfen getötet und mehr als 1100 verletzt worden.

Was sagen die Befürworter des Jallikattus?

Die Befürworter argumentieren demgegenüber mit der grossen kulturellen und rituellen Bedeutung der Veranstaltungen und verweisen auf die Tatsache, dass im Gegensatz zu den iberischen Stierkämpfen das Tier nicht getötet werde. Zudem trage der Sport zum Erhalt lokaler Rinderrassen bei und sichere vielen Stieren, die sonst verkauft oder sogar geschlachtet würden, das Überleben. Weil die stärksten Tiere nach den Kämpfen für die Deckung von Kühen nachgefragt würden, trage Jallikattu sogar zur natürlichen Auslese bei.

Tierschutzfragen sind in Indien mit seinem grossen Bevölkerungsanteil an Vegetariern immer ein heikles Thema, vor allem wenn es sich um Rinder handelt. Kühe gelten im Hinduismus als heilige Tiere, der Verzehr von Rindfleisch ist in mehreren Gliedstaaten gesetzlich verboten. Radikale Hindus instrumentalisieren die unterschiedlichen Stellenwerte des Tieres in den beiden grossen Religionsgemeinschaften des Subkontinents oftmals für antimuslimische Stimmungsmache.

Gleichberechtigung der Tamilen

Wichtiger als die religiöse Komponente ist für das Verständnis der Proteste im stark hinduistisch geprägten Gliedstaat Tamil Nadu aber eine politische Frage: Bis in die sechziger Jahre forderten tamilische Kräfte einen unabhängigen Staat. Bis heute ist die regionale Identität in Tamil Nadu viel stärker als die nationale, was sich auch in der ostentativen Ablehnung der zweiten nationalen Amtssprache, des in Nordindien gesprochenen Hindi, äussert.

Der heftige Widerstand gegen das Verbot eines regionalen Brauchs durch eine nationale Instanz ist vornehmlich vor diesem Hintergrund zu sehen. Premierminister Modi erklärte auf Anfrage des Regierungschefs von Tamil Nadu, er unterstütze die Führung des Gliedstaats, die Entscheidung obliege aber der Justiz. Kommentatoren sehen die Ereignisse als Beleg für die Notwendigkeit eines Ausbaus des indischen Föderalismus.


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