Aus dem Flüchtlingsheim in den CDU-Vorstand

Jenovan Krishnans Eltern suchten einst Asyl in Deutschland. Jetzt leitet der 24-Jährige den Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Als Migrant vom Dienst versteht er sich nicht.

Jenovan Krishnan war dabei, als Angela Merkel am Montag mit ihrer Parteiführung über die Flüchtlingspolitik stritt – aber er schwieg. Das war einerseits angebracht, denn der 24-Jährige nahm als neuer Vorsitzender des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) erst zum zweiten Mal an einer Sitzung des Bundesvorstands der Regierungspartei teil. Andererseits hätte Krishnan Erfahrungen einbringen können, die weder der zuständige Innenminister Thomas de Maizière noch der Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier teilen: Er weiß, wie sich Flüchtlinge in Deutschland fühlen. Er ist in einem Flüchtlingsheim zur Welt gekommen.

Das war 1991 in Nürnberg. Seine Eltern sind Tamilen aus Sri Lanka. In seiner bayerischen Kindheit – erst in Franken, später im Allgäu – hat er nie jemanden getroffen, der auf Anhieb wusste, dass Sri Lanka eine große Insel ist, die südöstlich von Indien liegt. Auch von dem tödlichen Bürgerkrieg, der dort in den 80er-Jahren tobte, hatte nie jemand gehört: Krishnans Eltern waren geflohen, nachdem sich eine extremistische marxistische Guerilla gegründet hatte und Regierungssoldaten in tamilischen Dörfern „zur Warnung“ Bauern bei lebendigem Leibe verbrannten.

Das reichte damals noch, um in Deutschland Asyl zu bekommen. Obwohl zumindest Krishnans Mutter aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland kam. Sie hatte zuerst einen Schlepper gefunden, der sie in einem Boot nach Singapur schmuggelte. Doch dort durften Flüchtlinge nicht arbeiten.

Krishnans Vater begann sein Asylverfahren in West-Berlin. Dem Sohn zeigt er heute noch gerne eine ganz besondere Trophäe: ein Stück aus der Mauer, selbst geschlagen in der Nacht, als die Deutschen laut Willy Brandt das glücklichste Volk der Welt waren. Über die Zeit davor hingegen, über den Krieg und die Flucht, hat der Vater mit dem Sohn niemals gesprochen – ob er weiß, wie typisch deutsch das einmal war?

„CDU sieht mich nicht als Opfer“

Immer noch typisch bayerisch ist die Integrationsgeschichte der Familie Krishnan: Die Eltern fanden harte, aber gute Arbeit in der Metallindustrie, bei einem mittelständischen Autozulieferer, die Kinder schwärmen vom Wandern, „Kässpatzen“ und posten Fotos von Allgäuer Landschaften und Grillfesten auf Facebook. Doch Krishnan, der einen jüngeren Bruder hat, will eigentlich gar nicht so viel über seine Herkunft reden. Im Gegenteil! „Deshalb bin ich doch zur CDU gegangen, weil die mich nicht als Opfer sehen“, empört er sich fast.

Als Migrant vom Dienst hätte er doch eine Karriere bei den Grünen angestrebt, sagt er: „An der CDU gefällt mir, dass die nicht darauf gucken, wo ich herkomme, sondern wo ich hinwill.“ Er studiert ausgerechnet in Frankfurt Politik – der Heimat des Neomarxismus der 70er-Jahre, der längst nicht mehr die Studenten, wohl aber die Astas der Republik prägt. Krishnan gelang es mit einem strikt unideologischen, an konkreten Problemen orientierten Programm für seinen RCDS zum ersten Mal seit Generationen wieder einen Sitz im Senat zu holen.

Vielleicht wurde dort Peter Tauber auf ihn aufmerksam, der Generalsekretär mit der Mission, die CDU bunter, jünger und weiblicher zu machen. Vor einem Jahr lud er für Merkel alle Funktionäre mit Migrationshintergrund nach Berlin ein – die Kanzlerin schwärmt noch heute von deren Begeisterungsfähigkeit. Tauber sieht seine Mission strategisch: Wenn sich das Volk verändert, muss sich auch eine Volkspartei verändern, wenn sie eine Volkspartei bleiben will. Abschreckendes Beispiel sind die US-Republikaner, die auch von konservativen Latinos und Schwarzen nicht gewählt werden.

Vor allem Leistung

Tauber persönlich sprach Krishnan in Frankfurt an, er solle in die CDU eintreten. „Jünger, weiblicher, bunter“ – immerhin zwei von drei Attributen bringt er mit, und die Deutschland-fit-für-die-Globalisierung-Rhetorik der Merkel-CDU beherrscht er auch: „Die Digitalisierung der Hochschulen und die Werbung für MINT-Fächer möchten wir als RCDS voranbringen.“ Die schöne neue Welt von Netz, Ingenieuren und Technikern, für die sich bei den jungen Christdemokraten auch die begeistern, die selbst Politik studieren.

Wie die Eltern ist er Katholik, aber nicht ganz so ein fleißiger Kirchgänger wie die Mutter. Wichtig ist dem jungen Mann vor allem Leistung: „Nach der Grundschule steckten sie mich in die Hauptschule. Ich habe mich nicht beschwert, denn ich hatte tatsächlich damals noch sprachliche Defizite.“ Nicht klagen, sondern sich Erfolge erarbeiten: zuerst den Wechsel zum Gymnasium und später den ersten Platz im Rhetorikwettbewerb in der Oberstufe. „Ich glaube nicht nur, dass man mit Leistung in Deutschland etwas erreichen kann. Ich habe das schon erlebt“, meint Krishnan.

Was ist mit Patriotismus, Vaterland, Heimat – neben dem Christentum und der Eigenverantwortung der dritte Urschlamm der Union? „Hesse ist, wer Hesse sein will“, hat ihm Tauber gesagt, als Krishnan zweifelte, ob er in die CDU eintreten könne, obwohl er doch seine Kindheit im CSU-Land Bayern verbracht hatte.

CDU verliert in Asylkrise Freude an der Buntheit

Jetzt lebt er erst einmal ein Jahr in Berlin. Zwischen dem RCDS-Büro am Landwehrkanal und seiner Wohnung in Neukölln hat er das angesagteste Viertel der Stadt: Wobei er hier offensichtlich noch Integrationsschwierigkeiten hat. Schon beim Fotoshooting wirkt er viel zielorientierter als die meisten seiner notorisch unentschlossenen Altersgenossen. Im Gespräch ist er verbindlich, ja regelrecht beflissen. Und der Bart ist eigentlich auch viel zu gepflegt für Berlin. Die Hautfarbe hingegen reicht schon lange nicht mehr, um hier aufzufallen.

Andererseits, wird es nicht vielen in der CDU – und nicht nur dort – in der Asylkrise gerade zu bunt? Das moderne Einwanderungsgesetz, das der Generalsekretär Tauber gerne in der Programmatik der CDU wenigstens angelegt hatte, droht auf dem Parteitag im Dezember unter die Räder zu geraten. Die Union ist tief verunsichert, ob Merkels Entscheidung, die Grenze für syrische Kriegsflüchtlinge zu öffnen, epochal oder emotional war. Noch läuft der innerparteiliche Meinungskampf, aber Hardliner – die in den Merkel-Jahren immer weniger zu melden hatten – bestimmten plötzlich wieder den Ton in der Partei mit.

Dabei ist die längst nicht mehr die alte. Krishnan ist ja kein Einzelfall. Auch Paul Ziemiak, der Vorsitzender der Jungen Union, kam mit seinen Eltern als Spätaussiedler aus Polen zuerst ins Lager Friedland. Fast ist es ironisch: Während die Union um die Flüchtlingsfrage ringt, als gehe es um ihre Identität, werden ihre beiden Nachwuchsorganisationen von jungen Männer geleitet, deren erste deutsche Adresse ein Flüchtlingsheim war.

Asyldebatte könnte Migrantenkinder verschrecken

Die JU hat trotzdem die feste Obergrenze beschlossen, die Merkel immer noch ablehnt. Krishnans RCDS kann als Hochschulverband dazu schweigen und am liebsten würde er es auch selbst tun. Am Montag, auf seiner zweiten CDU-Vorstandssitzung, beschloss Merkels Parteiführung, sie wolle anerkannten syrischen Kriegsflüchtlingen künftig verbieten, ihre Frauen und Kinder nach Deutschland zu holen. Krishnan wird leiser als bisher in dem Gespräch: „Ich glaube nicht, dass es wirklich gelingen kann, den Familiennachzug zu verhindern.“ Die Menschen kämen dann später ebenfalls als Flüchtlinge. Eine Obergrenze will er nicht ausschließen, meint aber: „Eigentlich müsste doch qualitativ entschieden werden, nicht quantitativ.“

Was macht die Asyldebatte mit dem Projekt „Jünger, weiblicher bunter“? Läuft die CDU Gefahr, die Flüchtlinge, Gastarbeiterkinder und Migranten zu verschrecken, die Tauber unbedingt in die Union holen wollte? Das mag Krishnan nicht sagen. Im Streit zwischen der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer stand er auf Merkels Seite. Die Frage, ob er selbst in die CSU eintreten würde, wenn er noch in Bayern lebte, beantwortet er mit einem Lächeln: „Ich komme ja aus dem Allgäu. Dort auf jeden Fall.“

Dies zu verstehen, setzt landsmannschaftliche Spezialkenntnisse voraus, ohne die man in einer Volkspartei auch heute nicht weit kommt. Das Allgäu gehört zum Wahlkreis von Gerd Müller, dem Entwicklungshilfeminister. Ein CSU-Politiker, der sich in der Flüchtlingsdebatte bisher auffällig zurückhielt.

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source: http://www.welt.de/politik/deutschland/article148792057/Aus-dem-Fluechtlingsheim-in-den-CDU-Vorstand.html

 

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